Burn-out: Epidemie vs. Hysterie


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Die einen sagen, dass die Diagnose mehr über die Medienwelt, die eine neue Titelgeschichte sucht,aussagt, als über das Krankheitsgeschehen. Andererseits ist es nicht bestreitbar, dass die Arbeitswelt psychische Kosten aufweist. Es gibt aber auch viele weitere wichtige Einflussgrößen, die bei der Entstehung eine wichtige Rolle spielen, wie z.B. Persönlichkeit und Lebensstil.


Es stellt sich also nun die Frage, welchen Einfluss die Arbeitsbedingungen auf das psychische Wohlbefinden der Beschäftigten haben. Und in welche Richtung verändern sich die Arbeitsbedingungen überhaupt? Eher zum Schlechteren oder zum Besseren? Worin liegen die Ursachen für die steigende Anzahl für psychische Erkrankungen, sowie die damit verbundene steigende Anzahl an Arbeitsausfälle.

Eine Studie der Universität in Marburg konnte einen positiven Zusammenhang zwischen objektiver Arbeitsintensität und dem Risiko eine Depression zu entwickeln aufzeigen. Körperliche und psychische Belastungen spielen dabei eine wesentliche Rolle, wie z.B. Zeit- oder Leistungsdruck.

Auch wenn die Diagnose im Einzelfall uneindeutig oder falsch sein kann, und psychische Erkrankungen meist mehrere Ursachen haben, die Arbeitsbedingungen also nicht die einzige Belastungsquelle darstellen, ist es dennoch unbestreitbar, dass immer mehr Beschäftigte in und an ihrer Arbeit leiden. Dabei sind vor allem die motivierten, leistungsstarken und hochqualifizierten Beschäftigte betroffen, die mit hohen Anforderungen zu kämpfen haben. Doch gerade in dieser Gruppe sind die Arbeitsbedingungen nicht so schlecht, zumal es in den letzten Jahren eine positive Entwicklung gab, und es nun mehr Freiheitsgrade durch flachere Hierarchien und höhere Eigenverantwortung gibt. Auch die hohen Anforderungen, sind per se nicht negativ und können im Gegenzug unter bestimmten Umständen sogar eine Quelle von Gesundheit sein. Zudem sind die notwendigen Freiräume in der Arbeit vorhanden, sowie die Möglichkeit mitgestalten zu können.
 

Das größte Problem sind die Widersprüche in der gegenwärtigen Arbeitswelt:

  1. Steigende Anforderungen stehen geringen bzw. schrumpfenden Ressourcen gegenüber

    Die Ziele werden somit oft „unerreichbar". Es ist nun Aufgabe der Beschäftigen dafür zu sorgen, dass Anforderungen und Ressourcen zusammenpassen. Die Freiheiten sind zwar vorhanden, aber diese können nicht „eigensinnig" genutzt werden, sondern müssen eingesetzt werden, um mit einer systematischen Überlastung zurechtzukommen. Die Selbstbestimmung verkommt somit zur Möglichkeit - und Pflicht -, sich und seine Ressourcen noch effizienter einzusetzen.


     
  2. Widerspruch zwischen Fremd und Selbststeuerung

    Die Beschäftigen erleben viele Freiheiten in der Arbeit, und können persönliche Ziele verwirklichen, aber bei den „harten" (Zahlenzielen) Einflussfaktoren wie den Ergebnisvorgaben (Termine, Umsätze, Erträge, Qualitätskennzahlen) und den basalen Ressourcen (Personalbemessung, Investitionen), herrscht kaum Mitsprache.


     
  3. Widerspruch zu sich selbst: Konflikt zwischen Arbeit und Gesundheit.

    Beschäftige wollen und müssen einerseits ihre Arbeit gut machen, wollen andererseits aber auch ihre Gesundheit erhalten und genug Zeit für sich oder die Familie haben. Unter Zeitdruck oder angesichts fehlender Ressourcen kann die Arbeit allerdings nicht so erledigt, wie man es selbst für richtig hält und es kommt zu inneren Interessengegensätzen. Viele Beschäftigten überlasten sich selbst, scheinbar freiwillig und gefährden somit ihre Gesundheit (interessierte Selbstgefährdung). Sie setzen sich selbst unter Druck, und bringen sich selbst dazu immer noch effektiver zu arbeiten.

 

Fazit: Vieles hat sich zwar verbessert, und keiner möchte zurück zur alten Bürokratie und Hierarchie. Die Freiheit sich in der Arbeit einzubringen ist zudem ein Grundpfeiler für unseren ökonomischen Erfolg. Es deutet auch nichts darauf hin, dass der hohe Grad der Selbstbestimmung ein Problem darstellt bzw. darstellen wird.
Dennoch ist der Druck unter dem die Beschäftigen stehen immens. Daher wird in erster Linie ein (Gesundheits-)Management benötigt, das mehr ist als das Angebot, sich selbst gesund zu halten. Das Management sollte eine institutionelle Plattform für die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Leistungsanforderungen und Leistbarkeit sein. Dabei ist es ausschlaggebend die Beschäftigten einzubeziehen, denn sie sind die Experten ihrer Arbeit und ihrer Gesundheit, der „Ort", an dem Anforderungen und Ressourcen aufeinandertreffen.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt Dez. 2012