Autonomere Therapieplanung kann Wartezeiten abbauen


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Zwei Drittel der Patienten erhalten eine Kurzzeittherapie. Die Therapiedauer richtet sich nach dem individuellen Bedarf und nicht nach den genehmigten Kontingenten. Das bestätigt erneut eine Analyse der KBV.

(…) Das Robert-Koch-Institut schätzt in einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland, dass etwa 33 Prozent der Bevölkerung innerhalb eines Jahres von mindestens einer psychischen Störung betroffen sind. Am häufigsten sind Angststörungen, Alkoholmissbrauch und -abhängigkeiten sowie Depressionen. Allerdings suchen nur 38 Prozent der Betroffenen Hilfe im Gesundheitssystem. So kommt es, dass trotz des häufigen Auftretens psychischer Erkrankungen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in psychotherapeutischer Behandlung ist: Untersuchungen zufolge liegt der Anteil schätzungsweise bei 3,1 beziehungsweise 1,7 Prozent der Versicherten. (…)

In der Verhaltenstherapie und in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie kann der Therapeut je nach Indikation eine Kurz- oder Langzeittherapie beantragen. Dabei stehen für jedes Richtlinienverfahren Kontingente zur Verfügung: für Kurzzeittherapien 25 Sitzungen, für Langzeittherapien im ersten Kontingent bis zu 45 Sitzungen (…). Die Kontingente können bei Bedarf verlängert beziehungsweise im Fall der Kurzzeittherapien in eine Langzeittherapie umgewandelt werden – allerdings nur über ein erneutes Gutachterverfahren.

Wie dieses komplexe Angebot in der Praxis genutzt wird und ob die Sitzungskontingente immer voll ausgeschöpft werden, haben die Autoren untersucht. Grundlage für die Analyse bildeten die pseudonymisierten Abrechnungsdaten der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen. (…)

Bei der Dauer der Therapie ergibt sich folgendes Bild: In den meisten Fällen bekamen die Patienten eine reine Kurzzeittherapie [Verhaltenstherapie: 71] (…). Nur bei etwa 30 Prozent wurde eine Langzeittherapie durchgeführt oder eine Kurzzeit- in eine Langzeittherapie überführt. (…)

Die Dauer der Therapie scheint dabei nicht von der Zahl der Stunden abhängig zu sein, die eine Krankenkasse bewilligt hat. In den meisten Fällen endet die Psychotherapie, bevor das erste Kontingent aufgebraucht war. Dies zeigt sich gerade bei den Kurzzeittherapien, dem häufigsten Therapiesetting: Die Mehrzahl der untersuchten Patienten schloss die Therapie vor der 25. Sitzung ab. Bei den Langzeittherapien war der Anteil etwas geringer. (…)

Die Analyse der Abrechnungsdaten zeigt, wie dynamisch, individualisiert und indikationsbezogen das Therapiegeschehen in der ambulanten Versorgung ist. Kurzzeittherapien scheinen dazu genutzt zu werden, Patienten mit psychischen Problemen kurzfristige Therapiemöglichkeiten anbieten zu können. Seit Anfang 2000 haben Therapeuten, die mindestens 35 Therapiegenehmigungen im jeweiligen Therapieverfahren vorweisen können, die Möglichkeit, ohne ein Gutachterverfahren mit einer Kurzzeittherapie zu beginnen. Unnötige Wartezeiten und damit eine mögliche Verschlechterung der psychischen Verfassung des Patienten können damit vermieden werden. Für die meisten Betroffenen ist eine solche Kurzzeitintervention zudem ausreichend. (…)

Patienten in einer Langzeittherapie beenden die Therapie meist innerhalb des ersten Sitzungskontingentes. Zudem zeigt sich, dass Patienten häufig nur ein paar Stunden mehr benötigen, als zunächst bewilligt, nicht aber das gesamte zweite Kontingent. Die enge Taktung der Kontingente führt derzeit allerdings dazu, dass auch für diese geringe Zahl an zusätzlichen Stunden jeweils ein erneutes Gutachterverfahren notwendig ist. Angesichts der Behandlungsrealität wäre es vertretbar, die maximal mögliche Stundenzahl bei einem Erstantrag einer Langzeittherapie zu erweitern. (…)

Die Therapiedauer scheint sich insgesamt eher an dem individuell induzierten Behandlungsbedarf des Patienten zu orientieren als an der Anzahl der bewilligten Therapiestunden. (...)

Daher muss nicht erwartet werden, dass eine autonomere Therapieplanung durch den Therapeuten ökonomische Fehlanreize setzt, sondern dass dadurch unnötige Wartezeiten und bürokratische Aufwände in erheblichem Maße vermieden werden können. Das lässt den Therapeuten mehr Zeit für die eigentliche Arbeit – Menschen mit psychischen Leiden schnell und wirksam zu behandeln.

Zitiert nach: Deutsches Ärzteblatt für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Heft 3/März 2014.Artikel: „Autonomere Therapieplanung kann Wartezeiten abbauen“ von Jan Multmeier, Bernhard Tenckhoff. Seite 110 ff.